2019 Beitrag zum Jahrbuch 2019 Märkisch-Oderland
Vor 80 Jahren: Die „Aktion Konservendose“ und der Rehfelder Bürger Wilhelm Betke
Als die Deutschen am Freitag, dem 1. September 1939, den „Völkischen Beobachter“ oder auch die Regionalzeitungen aufschlugen, konnten sie Meldungen über „Angriffe polnischer Freischärler auf deutsches Gebiet“ lesen. Auf den ersten Blick war das nichts Neues. Schreckensnachrichten dieser Art über angebliche Provokationen polnischer Bürger gegenüber der im Nachbarland lebenden deutschen Minderheit gab es schon seit Wochen. Dieses Mal jedoch sollten die Mitteilungen einen besonderen Stellenwert erlangen. Das erfuhr die Bevölkerung noch am Vormittag desselben Tages aus dem Rundfunk. In seiner Rede auf der Sitzung des Reichstags in der Berliner Kroll-Oper verkündete Adolf Hitler: „Polen hat heute Nacht zum ersten Mal auf unserem eigenen Territorium auch mit bereits regulären Soldaten geschossen. Seit 5.45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen. Und von jetzt ab wird Bombe mit Bombe vergolten.“[1]
Das konnte nur Krieg bedeuten. Propagandaminister Joseph Goebbels notierte in seinem Tagebuch: „Polnischer Angriff auf den Sender Gleiwitz. Das bringen wir ganz groß heraus. Wir sind nun wieder im Angriff. Man fühlt sich nur wohl im Kampf. Es wird ganz ruhig um uns. Die Würfel sind gefallen.“[2]
Was war geschehen? Wenige Tage zuvor, am 22. August, hatte der „Führer“ auf dem Obersalzberg den Oberbefehlshabern der Wehrmacht erklärt, dass er propagandistischen Anlass zur Auslösung des Krieges geben werde, gleichgültig, ob er glaubhaft sei oder nicht. Der Sieger werde später nicht danach gefragt, ob er die Wahrheit gesagt hätte. Gestapo, SS, SD und Abwehr hatten bereits Anfang des Monats den Befehl erhalten, entsprechende Vorbereitungen zu treffen. Die persönliche Verantwortung war Reinhard Heydrich, Chef der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes, übertragen worden. Geplant waren Scheinüberfälle im deutsch-polnischen Grenzgebiet in Oberschlesien, unter anderem auf das Zollhaus Hochlinden bei Ratibor sowie das Forsthaus bei Pitschen. Besondere Bedeutung kam dem Überfall auf den deutschen Rundfunksender Gleiwitz, heute Gliwice in Polen, zu.
Was sich in der Nacht vor Kriegsbeginn tatsächlich abgespielt hatte, erfuhr die Weltöffentlichkeit erst nach dem Krieg während der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse und weiterer juristischer Ermittlungen. Die angeblichen „polnischen Provokationen“ waren in Wirklichkeit das Werk der SS.
Am 31. August 1939 gegen 20.00 Uhr drangen, von der Dunkelheit geschützt, in Zivil gekleidete bewaffnete SS-Männer in das Gleiwitzer Rundfunkgebäude ein, unterbrachen die laufende Sendung und riefen einen erst in die Slowakei transportiert. In Bad Stuben erhielten sie eine kurze notdürftige militärische Ausbildung. Als Anfang Dezember 1944 die Rote Armee von Ungarn aus vorstieß und die deutsche Verteidigung zusammenbrach, wurden einzelne Bataillone der Brigade Dirlewanger kurzfristig an die ungarische Grenze verlegt, darunter das mit Wilhelm Betke.
Die politischen KZ-Häftlinge hatten sich noch in den Lagern darüber verständigt, jede sich bietende Möglichkeit zu nutzen, entweder zu den Partisanen oder zur Roten Armee überzulaufen. Nach seinen eigenen Angaben desertierte Wilhelm Betke am 12. Dezember 1944. Insgesamt wechselten zwischen dem 11. und dem 18. Dezember mehr als 500 Angehörige der Einheit Dirlewanger die Fronten, darunter alle des III. Bataillons des 2. Regiments, das fast ausschließlich aus politischen Häftlingen der KZ Sachsenhausen, Dachau und Neuengamme bestand.
Nach elf Jahren KZ-Haft, kurzem Fronteinsatz und anschließender russischer Kriegsgefangenschaft kehrte Wilhelm Betke Anfang September 1945 in seinen Heimatort Rehfelde zurück. Es war für ihn selbstverständlich, sich sofort am Wiederaufbau und der Neugestaltung des Dorfes zu beteiligen. Nun endlich gelang es ihm auch, eine eigene Familie zu gründen. Mit 72 Jahren starb Wilhelm Betke plötzlich und unerwartet während einer Reise. Seine letzte Ruhestätte fand er neben den Eltern und seinem Bruder auf dem Friedhof Garzau. [3]
Dem schicksalhaften Leben des Wilhelm Betke wurde bis 1990 im Traditionskabinett der damaligen LPG Rehfelde gedacht. Aus Anlass des 60. Jahrestages des Überfalls auf Polen durch Nazi-Deutschland widmete die Gedenkstätte Sachsenhausen 1999 den in die „Aktion Konservendose“ involvierten Häftlingen des KZ Sachsenhausen, darunter Wilhelm Betke, eine Ausstellung unter dem Titel „Der Führer braucht einen Kriegsgrund“.
Der von Hitler-Deutschland entfesselte Zweite Weltkrieg kostete die Menschheit mindestens 55 Millionen Menschenleben, hinterließ 35 Millionen Kriegsversehrte und vernichtete unwiederbringliche materielle und kulturelle Werte – für die Gegenwart eine eindringliche Mahnung zum Frieden auf der Welt.
Auszug aus dem „Völkischen Beobachter“ vom 1. September 1939
Dr. Erika und Gerhard Schwarz
Rehfelde
Quellen
[1] Domarus, Max: Hitler. Reden und Proklamationen. Bd. 1, München 1965, S. 1312.
[2] Tagebücher von Joseph Goebbels. Teil 1, Aufzeichnungen
1923–1941, Bd. 7, Juli 1939 bis März 1940, München
1998, S. 88.
[3] Zum Lebensweg des Wilhelm Betke siehe auch Schwarz, Erika und Gerhard: Rehfelde. Ein Dorf auf dem Barnim, Berlin 2013, S. 422.
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